Han Kang ist die wichtigste literarische Stimme Koreas. 1993 debütierte sie als Dichterin, seitdem erschienen zahlreiche Romane. Seit sie für „Die Vegetarierin“ gemeinsam mit ihrer Übersetzerin 2016 den Man Booker International Prize erhielt, haben ihre Bücher auch international großen Erfolg. Auch der Roman „Weiß“, der in der kommenden Woche in deutschsprachiger Version veröffentlicht wird, war für den Booker Prize nominiert, „Menschenwerk“ erhielt den renommierten italienischen Malaparte-Preis, zuletzt erschien bei Aufbau »Deine kalten Hände«. Derzeit lehrt sie kreatives Schreiben am Kulturinstitut Seoul.
Ich selbst las vor einiger Zeit von Han Kang „Menschenwerk“ und war beeindruckt. Von dieser Autorin wollte ich unbedingt mehr lesen und doch griff ich erst jetzt zu dem davor veröffentlichten Roman „Die Vegetarierin“. Ein ganz anderes aber nicht weniger eindringliches Werk dieser Autorin, das ich bei Spotify als Hörbuch entdeckte. Gesprochen wird es von Rike Schmid, Thomas Loibl und Devid Striesow – und ließ mich schon nach kurzer Zeit nicht mehr los.
Ein seltsam verstörendes, hypnotisierendes Buch über eine Frau, die laut ihrem Ehemann an Durchschnittlichkeit kaum zu übertreffen ist – bis sie eines Tages beschließt, kein Fleisch mehr zu essen.
„Bevor meine Frau zur Vegetarierin wurde, hielt ich sie für nichts Besonderes. Bei unserer ersten Begegnung fand ich sie nicht einmal attraktiv. Mittelgroß, ein Topfschnitt, irgendwo zwischen kurz und lang, gelbliche unreine Haut, Schlupflider und dominante Wangenknochen. So fühlte ich mich weder von ihr angezogen noch abgestoßen und sah daher keinen Grund, sie nicht zu heiraten.“
Yeong-Hye und ihr Ehemann sind ganz gewöhnliche Leute. Er geht beflissen seinem Bürojob nach und hegt keinerlei Ambitionen. Sie ist eine zwar leidenschaftslose, aber pflichtbewusste Hausfrau. Die angenehme Eintönigkeit ihrer Ehe wird jäh gefährdet, als Yeong-Hye beschließt, sich fortan ausschließlich vegetarisch zu ernähren und alle tierischen Produkte aus dem Haushalt entfernt. „Ich hatte einen Traum“, so ihre einzige Erklärung. Ein kleiner Akt der Unabhängigkeit, aber ein fataler, denn in einem Land wie Südkorea, in dem strenge soziale Normen herrschen, gilt der Vegetarismus als ablehnenswerte Aufruhr. Doch damit nicht genug. Bald nimmt Yeong-Hyes passive Rebellion immer groteskere Ausmaße an. Sie, die niemals gerne einen BH getragen hat, fängt an, sich in der Öffentlichkeit zu entblößen und von einem Leben als Pflanze zu träumen. Bis sich ihre gesamte Familie gegen sie wendet.
Die Vegetarierin ist eine kafkaeske Geschichte in drei Akten über Scham und Begierde, Macht und Obsession sowie unsere zum Scheitern verurteilten Versuche, den Anderen zu verstehen, der ja doch, wie man selbst, Gefangener im eigenen Leib ist.
Soweit der Klappentext, dem ich nur beipflichten kann, allerdings würde man bei uns Yeong-Hye als Veganerin bezeichnen und es ist mehr als befremdlich, was dieser Frau im Laufe des Buches widerfährt, weil sie sich gegen tierische Produkte wehrt. Doch es geht in dieser Geschichte nicht darum die Leser zu einer Ernährungsform zu bekehren, sondern vielmehr sind es die gesellschaftlichen südkoreanischen Konventionen, die es der jungen Frau unmöglich machen wie bisher weiterzuleben. So erkämpft sie sich still und leise, aber nichtsdestotrotz vehement durch ihre ganz persönlich getroffene Entscheidung ein Stück Selbstkontrolle.
Doch es ist nicht der Roman einer Heldin, der man nacheifern möchte, sondern einer lethargisch wirkenden jungen Frau, die Gesellschaft und Erziehung krank gemacht haben und die nun in ihrer Verzweiflung gefangen ist. Eine tragische und hypnotische Geschichte, die manchmal doch ein wenig mit Hoffnung anfüttert, jedoch nicht darüber hinwegtäuscht, wie stark gesellschaftliche Zwänge und Erwartungshaltungen sind. Ein Buch, das wütend und traurig darüber macht, wie Menschen darin miteinander umgehen. Außerdem wird eine Szene von Tierquälerei geschildert, die ich so unerträglich fand, das ich fast nicht weiterlesen, beziehungsweise hören mochte. Das alles macht „Die Vegetarierin“ zu einem intensiven Buch, da Geschildertes mit unseren westlichen Ansichten und Gepflogenheiten stark kollidiert. Empfehlenswert!
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Han Kang
Die Vegetarierin
Aus dem Koreanischen von Ki-Hyang Lee
Sprecher: Rike Schmid, Thomas Loibl, Devid Striesow
Spieldauer: 5 Stunden 51 Minuten
Ungekürzte Lesung
ISBN 978-3-8398-1560-1
Preis: 18,99 €
Erscheinungsdatum: 08.12.2016
Sprache: Deutsch
Anbieter: Argon Verlag
Ach, da treffen wir uns auf der Reise: die Vegetarierin kommt bei mir auch bald an die Reihe 😉
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Keine leichte Kost, aber lohnenswert, wie ich finde. Ein bizzares Lesevergnügen wünsche ich 😉 Bei mir geht es jetzt mit Fang Fang in China weiter.
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Hallo!
Was für eine überzeugende, gut durchdachte Rezension für ein Buch, das mich selber in seiner ganzen für die Autorin typischen Befremdlichkeit auch begeistert hat. 🙂
Ich kann dir „Deine kalten Hände“ von ihr auch nur empfehlen!
LG,
Mikka
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Danke für den Tipp! Darauf bin ich auch schon gespannt und könnte mir vorstellen, auch dieses als Hörbuch zu ‚lesen‘.
LG Yvonne
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Oh, das kann ich mir super als Hörbuch vorstellen!
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Danke übrigens für deinen Köfferchen-Besuch und fürs Verlinken. Leider hat das mit dem Trackback nicht funktioniert. Die Technik scheint derzeit etwas launisch zu sein, weshalb ich hier manuell den Link einfüge:
https://wordpress.mikkaliest.de/das-koefferchen-besuchte-buchblogs-14-2020/
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Das letzte WordPress-Update hat mir erstmal alles zerschossen, der ganze Blog war kaputt, da ging gar nix mehr…Hat mich drei Tage gekostet, alles wieder neu einzurichten! Vielleicht liegt das mit den Pingbacks bei dir daran?
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Sieht fast so aus. Ist das denn auch bei den anderen verlinkten Blogs so oder nur bei mir?
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Das weiß ich leider nicht, es hat ja auch nicht jeder Pingback eingeschaltet.
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