His Dark Materials – Philip Pullman

Vor etlichen Jahren sah ich „Der goldene Kompass“ (FSK 12) in einer Verfilmung von 2007 mit Nicole Kidman und Daniel Craig. Mir gefiel sie, aber ich bekam damals schon den Tipp, lieber zu den Büchern der Fantasy-Trilogie „His Dark Materials“ zu greifen, denn die seien um Längen besser. Mich hat das damals neugierig gemacht und doch hat es einige Jahre gebraucht, bis ich schließlich „Der goldene Kompass“ las. Anschließend schaute ich mir den Film nochmal an und fand die Umsetzung grottenschlecht. Mir wollte sich nicht erschließen, was sich die Filmemacher wohl dabei gedacht hatten, die Geschichte dermaßen zu verstümmeln. Damals wusste ich noch nicht, dass der ursprünglich als erster Teil der Trilogie gedachte Film noch während der Produktion Ziel von Protesten US-amerikanischer Kirchen und aufgrund dessen zu einem eigenständigen Film umgestrickt wurde, wobei der gesamte letzte Abschnitt jenes ersten Buches verloren ging. Mich hat dieser Bruch seinerzeit zu sehr getroffen, um weiter zu lesen und zu erfahren, wie die Geschichte in „Das magische Messer“ und „Das Bernstein-Teleskop“ weiter geht. Immerhin verschenkte ich die Bücher im Schuber an jemanden, der den Film sehr mochte, während meine eigenen Bücher im Regal mehr oder weniger vergessen wurden.

Eher mit gemischten Gefühlen schaute ich mir vor einigen Monaten die erste Staffel der ab 2019 ausgestrahlten Serie „His Dark Materials“ (FSK 16) an, bei der der Autor als ausführender Produzent mit beteiligt war. Und dieses Mal war ich begeistert. Denn das Buch „Der goldene Kompass“ ist so gut – und dieses Mal vollständig – umgesetzt worden, dass ich gleich, nachdem ich mir das Finale der ersten Staffel angesehen hatte, „Das magische Messer“ als Buch zur Hand nahm und im Anschluss daran auch noch „Das Bernstein-Teleskop“ las. Mir wurde schnell klar, warum die Bücher von kirchlicher Seite keinen Anklang fanden, denn die Kritik, die am „Magisterium“ geübt wird, wird ab Band 2 deutlich greifbar. Aber hier wird nicht nur Kritik geübt, sondern auch Stoff zum nach- und überdenken von Religiösität geboten, was ich als jemand, der dem gegenüber sehr kritisch eingestellt ist, als berechtigt empfunden habe. Ab dem zweiten Buch wird die Geschichte außerdem ein wenig erwachsener und reift mit ihrer Protagonistin Lyra allmählich heran, die im dritten Teil ein Stadium erreicht, in dem auch ihr Dæmon eine feste Gestalt annimmt.

Es hat mir immer viel Freude gemacht mit Lyra in ihrer Welt unterwegs zu sein, wo jeder Mensch konstant von einem Dæmon in Form eines Tieres mit gegenteiligem Geschlecht begleitet wird. Lyras Dæmon verändert beliebig und spielerisch die Erscheinungsform des Tieres, da sie noch ein Kind ist. Erst mit der Pubertät nimmt der Dæmon eine feste Gestalt an und macht damit auch eine Aussage über den Charakter des Menschen. Mensch und Dæmon sind nicht zu trennen, sie sind wie Leib und Seele. Eine wunderbare Idee, die in Büchern und Serie jedem das Herz erwärmt, der Tiere mag. Außerdem gibt es Hexen, imposante Panzerbären, mordende Engel, Geister, Luftschiffe und die Mulefa, die mich mit ihrer friedfertigen Art vollends verzaubern konnten. Im ersten Teil verschwinden Kinder, aber es werden auch Kinder gefunden und Welten geöffnet. Im zweiten Buch lernt Lyra Will kennen und als Leser erfährt man, was es mit dem magischen Messer auf sich hat und im dritten, kommt es zu DEM großen Kampf.

Noch während ich die Bücher las, war ich gespannt, wie das in der Serie wohl umgesetzt sein würde und konnte es kaum abwarten, mir das anzusehen. Ich wurde nicht enttäuscht. Natürlich hatte ich mir manches anders vorgestellt, kam aber mit der filmischen Umsetzung in der zweiten und dritten Staffel auch gut zurecht. Jedes der drei Bücher wurde in einer eigenen Staffel der Serie „His Dark Materials“ verfilmt und hat mir sehr gut gefallen. Die leicht schmutzige Steampunk-Welt ist passend gewählt und vermittelt die richtige Atmosphäre für diese Geschichte. Die Kritik am „Magisterium“ fällt in den Büchern stärker aus, aber beim Lesen bleibt halt auch einfach mehr Zeit die Geschichte im eigenen Tempo zu erfahren und Denkpausen einzulegen. Und auch das Ende gefällt mir in Buchform besser, da es meine Phantasie nicht ganz so kitschig gestaltet, wie die filmische Umsetzung in der Serie.

Der Schuber bleibt meinem Bücherregal jedenfalls auch weiterhin erhalten und wird ab sofort in Ehre gehalten. Aber ich denke auch ernsthaft darüber nach, die Bücher Über den wilden Fluss (His Dark Materials 0) und Ans andere Ende der Welt (His Dark Materials 4) noch zu lesen. Ich war einfach zu gern in dieser Fantasy-Welt unterwegs – und die Serie „His Dark Materials“ (läuft derzeit unter anderem beim Streamingdienst WOW) schaue ich mir sicherlich auch nochmal an.

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His Dark Materials:
Der Goldene Kompass, Das Magische Messer und Das Bernstein-Teleskop
Philip Pulman
Taschenbuchschuber, 1456 Seiten
ISBN: 978-3551357205
Preis: 19,99 € [D]
Verlag: Carlsen
Empfohlenes Lesealter: ab 12 Jahren
Erschienen: 23. Oktober 2007

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Tag 4 – umgeBUCHt Bücherregaltour

Es ist die Zeit der Adventskalender und ich habe beschlossen, in diesem Jahr auch mal einen zu machen indem ich euch zu einer Tour durch mein Bücherregal mitnehme.

Wie man sieht, bin ich ein Harry Potter Fan. Ich bin der Autorin dankbar für die Welt, die sie geschaffen hat und für die Erinnerungen, die ich damit verbinde.

Es war im Jahr 2000, kurz vor Weihnachten. Ich machte gerade in Düsseldorf eine Weiterbildung und erhielt von einer Kollegin den Tipp, meiner Tochter zu Weihnachten „Harry Potter und der Stein der Weisen“ zu schenken. Ein großartiges Buch und eine tolle Reihe, wie mir damals versichert wurde. Da ich manchmal auf Ratschläge höre, schenkte ich das Buch meiner Tochter tatsächlich zu Weihnachten. Und las es später auch selbst. Wir waren beide begeistert und ließen uns nachfolgend auch die anderen bis dahin erschienen Bücher zu Geburtstagen schenken. Es wuchs eine gemeinsame Harry Potter Sammlung heran, die ihren Platz im Zimmer meiner Tochter fand. Irgendwann hatten wir aufgeholt und es brach die Zeit an, dass wir sehnsüchtig auf das Erscheinen neuer Bände warteten. Heute bedaure ich es ein wenig, dass wir uns nicht zu Mitternacht vor den Buchhandlungen angestellt haben, um dort gleich vor Ort das jeweils neue Buch zu kaufen. Damals war mir noch nicht bewusst, dass man zu einem großen Teil selbst dafür verantwortlich ist, sich wunderbare Erinnerungen zu schaffen. Aber immerhin hatte ich damals bei Amazon vorbestellt, so dass wir immer auch am Erscheinungstag sofort das neue Buch geliefert bekamen. Und wir lasen es auch gleich. Nicht gemeinsam, aber abwechselnd, jeder für sich, so dass immer auch zwei Lesezeichen im Buch den Lesefortschritt verrieten und wir uns über das Gelesene austauschen konnten. Es war einfach wunderbar.

Als schließlich der erste Film im Kino erschien, waren wir zunächst skeptisch, ob eine Verfilmung auch nur annähernd an die Bücher heranreichen könnte. Doch die Skepsis war unbegründet. Wir waren begeistert und warteten fortan nicht nur auf das Erscheinen neuer Bücher, sondern auch noch auf den nächsten neuen Kinofilm, den wir uns auch möglichst zeitnah anschauten und darüber austauschten. Ich denke gern an diese Zeit zurück. Irgendwann kam die Zeit, dass aus meinem Kind eine junge Frau heranwuchs, die eigene Wege ging und in die Welt hinauszog – und die inzwischen vervollständigte Harry Potter Sammlung mit ihr.

Von meinem Herzbuben bekam ich später zum Geburtstag den Schuber mit allen sieben Harry Potter Büchern geschenkt, weil er weiß, welche schönen Erinnerungen für mich damit verbunden sind. Ich habe mich unglaublich darüber gefreut und mir zur Vervollständigung irgendwann auch die DVD-Box zugelegt.

Als das 8. Buch von Harry Potter erschien, habe ich es mir gleich am Erscheinungstag in englischer Sprache als eBook gekauft, weshalb es hier nicht zu finden ist. Und auch wenn ich es mochte, nach so vielen Jahren wieder Neues aus der Harry Potter Welt zu erfahren, gehört es für mich bis heute nicht richtig dazu. Das liegt nicht an der Sprache, mit dem Englischen kam ich besser zurecht, als ich dachte, aber irgendwie vermisse ich bei diesem Buch die Verzauberung beim Lesen. Und so fehlt das Buch in diesem Bücherregal – und fehlt andererseits doch nicht.

Stattdessen habe ich mir „Harry Potter und der Stein der Weisen“ gebraucht in englischer Sprache gekauft, weil ich mir vorgenommen hatte, die Reihe in der Originalsprache zu lesen. Dabei ist es bisher jedoch geblieben.

Bei diesem Fach bin ich doch richtig ins Erzählen gekommen, weil es mir so am Herzen liegt.

Stilecht begrünt ist dieses Fach natürlich nicht. Aber eine peitschende Weide oder eine Alraune habe ich im Gartencenter nicht bekommen. Und genaugenommen dieses Pflänzchen auch nicht, das plötzlich vor Ort nirgendwo mehr zu bekommen war, nachdem ich entschieden hatte, dass ich es haben wollte. Bei Ben’s Jungle habe ich es dann doch noch gefunden und zum ersten Mal Pflanzen im Internet gekauft. Die Verpackung war gut und Pflanzen strotzten vor Gesundheit. Vielleicht gönne ich mir noch einen anderen Übertopf, aber ansonsten bin ich sehr zufrieden.

Die Glaskugel, die ich eine Zeitlang für Fotoexperimente genutzt habe und die von mir in der Ergotherapie bearbeitete Specksteinschale haben eher zufällig zu einander gefunden und konnten selbstverständlich nur in diesem Regalfach ein Zuhause finden, Mrs. Trelawney zu ehren.

Ganz links sind zwei Versteinerungen zu sehen. Die linke habe ich als Kind bei einer Mineralienausstellung bekommen. Ein kleines Zettelchen auf der Rückseite verrät noch, dass es sich dabei um eine in der Fränkischen Schweiz gefundene Dactylioceras aus der ausgestorbenen Gruppe der Ammoniten handelt. Die rechte Versteinerung hat mir mein Vater hingegen aus Saudi Arabien mitgebracht – ein echter Wüstenfund.

Hinter dem ganzen versteckt sich noch eine kleine wunderschön schimmernde Muschelscherbe, die ich am Melkbosstrand in Südafrika gefunden habe. Ursprünglich lag hier auch ein kleiner vom Meer rundpolierter Kieselstein, den ich am Strand von Cape Agulhas (für mich bislang der schönste Ort der Welt) mitgenommen hatte. Er liegt nun zwischen den anderen Steinen auf dem Grab meines Vaters, dem es am Fundort sicherlich auch gefallen hätte und dem ich unbedingt etwas dalassen wollte, das mir sehr am Herzen liegt. Aber es ist fest eingeplant, dass mein Herzbube und ich uns ein neues Steinchen besorgen werden. Wenn alles klappt, im nächsten Herbst.

Tag 3 – umgeBUCHt Bücherregaltour

Es ist die Zeit der Adventskalender und ich habe beschlossen, in diesem Jahr auch mal einen zu machen indem ich euch zu einer Tour durch mein Bücherregal mitnehme.

Heute zeige ich euch ein Bücherfach bei dem ich mir auf Anhieb nicht sicher bin, ob ich davon überhaupt ein Buch aussortieren kann. Hier sind einige Vorläufer meiner BUCHweltreise zu finden, die genaugenommen schon in den 1980er Jahren begann.

Als Deko hat sich Irvin D. Yalom mit seiner Autobiografie Wie man wird, was man ist hierhin verirrt – meine Rezension dazu findet ihr hier. Denn so sehr ich ihn auch schätze, thematisch hat er hier eigentlich nichts zu suchen. Da passt der Schutzumschlag „Lesen Sie dieses Buch bitte zuerst“, der seinerzeit ein Rezensionsexemplar des Diogenes Verlags umhüllt hatte, schon eher. Und die Matroschka, die ich 1994 in Weißrussland als Gastgeschenk überreicht bekam, hat nicht nur einen festen Platz in meinem Herzen bekommen, sondern auch in meinem Bücherregal.

Nicht sehen kann man auf dem Bild eine Keramik-Aromalampe, die ich gefühlt seit Jahrzehnten schon nicht mehr vermisst habe. Ich glaube die kann weg.

Doch kommen wir nun zu den Büchern, die ich euch verlinkt habe, um euch zu den Leseproben und meinen Rezensionen zu führen, sofern vorhanden. Viel Spaß beim Stöbern!

Sieben Jahre in Tibet – Mein Leben am Hofe des Dalai Lama von Heinrich Harrer: Ich habe natürlich die Filmausgabe mit Brad Pitt auf dem Cover. Das macht es nicht schlechter.

Traumfänger von Marlo Morgan: Unterwegs mit den Aborigines.

Dschungelkind von Sabine Kuegler: Als Tochter deutscher Forscher verbrachte die 1972 geborene Autorin ihre Kindheit mitten im Dschungel von West-Papua, bei einem vergessenen Stamm von einstigen Kannibalen. Die nachfolgenden Bücher fand ich nicht mehr so gut und habe sie nicht behalten.

Die weiße Massai von Corinne Hofmann: Die Autorin begegnet als deutsche Urlauberin in Kenia einem Massai-Krieger, bleibt bei ihm und heiratet ihn. Eigentlich eine Geschichte zum Wegrennen, aber irgendwie doch besonders. Und auch hier fand ich die nachfolgenden Bücher nicht mehr so gut und habe sie nicht behalten.

Heimkehren von Yaa Gyasi: Das Buch beginnt im Ghana des 18. Jahrhunderts und endet im heutigen Amerika. Ein vielschichtiger Roman über die Sklaverei. Meine Rezension dazu findet ihr hier.

Drachenläufer von Khaled Hosseini: Eine bewegende Geschichte über Freundschaft und Verrat in Afghanistan.

Nicht ohne meine Tochter von Betty Mahmoody sorgte in den 1980er Jahren dafür, dass ich mich auch für Bücher wie Flucht aus dem Iran – Eine Frau entrinnt den Ayatollahs von Sousan Azadi, Hinter dem Schleier und Nachts ist es leise in Teheran von Shida Bazyar (Meine Rezension) interessieren konnte.

Nein, ich sortiere keins aus. Die bleiben alle!

Der Distelfink – Donna Tartt

Seitdem ich „Die geheime Geschichte“ von Donna Tartt gelesen habe, bin ich von der Schreibkunst der Autorin begeistert. Sie nimmt sich nicht nur Zeit für ihre Bücher – 1992 erschien „Die geheime Geschichte“, 10 Jahre später „Der kleine Freund“ und nach weiteren 10 Jahren „Der Distelfink“. Sondern sie lässt sich auch beim erzählen ihrer Geschichten Zeit und sorgt so dafür, dass man richtig in die Romane eintauchen kann. So auch beim 2014 erstmals in deutscher Sprache erschienen Roman „Der Distelfink“, der in dem Jahr auch mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde.

Irgendwann hatte ich mir das rund 1022 Seiten starke Hardcover gebraucht und in einwandfreiem Zustand gekauft (lasst euch nicht vom Buchcover täuschen) und dann stand es erstmal im Regal. Nicht, dass ich dicke Bücher nicht mag, aber man muss auch in der Laune sein, sich über eine längere Zeit hinweg mit nur einem Buch zu beschäftigen. Und dazu war ich erstaunlicherweise in diesem Jahr bereit – inmitten meiner Leseflaute, vor allem auch weil ich mir von der Autorin einiges versprach. Da ich bei Audible mehrere Hörbuchguthaben angesammelt hatte, entschied ich mich dazu, Teile außerdem in der ungekürzten Hörbuchversion anzuhören und fand schließlich große Freude daran, in dem dicken Wälzer zu lesen und mir gleichzeitig dabei von Matthias Koeberlin die Geschichte vorlesen zu lassen. Eine wunderbare Erfahrung, wenngleich sie sich auch ein wenig verrückt anfühlte. Ganz allmählich genoss ich es wieder mehr zu lesen, zumal sich diese Lesezeit zu etwas ganz besonderem entwickelt hatte und ich dabei immer tiefer in Welt von Theo eintauchte und ihn durch sein Leben begleitete.

Als 13jähriger besucht Theo mit seiner Mutter das New Yorker Metropolitan Museum, auf das während des Besuchs ein Terroranschlag verübt wird. Theo gelingt es aus den Trümmern herauszukommen, doch seine Mutter schafft es nicht. Er versinkt in tiefe Trauer, die ihn lange nicht los lässt. Zunächst kommt Theo bei der sehr reichen Familie eines Schulfreundes unter, bis sein Vater gefunden wird und er bei ihm und dessen Freundin wohnen kann. Immer im Gepäck hat Theo den Distelfink, ein Gemälde, das er im Chaos des Attentats aus dem Museum seinerzeit einfach mitgenommen hat und das auch auf sein Leben als Erwachsener einen großen Einfluss hat.

Der Distelfink ist ein großartiger Entwicklungsroman in dem es um Trauer, Verlust, Verwahrlosung und Drogenprobleme, aber auch um Freundschaft und kriminelle Verstrickungen geht. Donna Tartt lässt sich viel Zeit beim Erzählen dieser Geschichte und zeichnet dabei Figuren, die man sich beim Lesen lebhaft vorstellen kann. Der Roman schreitet langsam voran und lässt doch keine Langeweile aufkommen. Es gibt einen Kriminalplot, bei dem es etwas rasanter vorwärts geht und der schließlich zu einem überraschenden Ende führt.

Insgesamt ein gelungener Roman, der mich auch auf den 2019 erschienen Film (Trailer 1 und Trailer 2) neugierig machte, den man sich derzeit als Amazon Prime-Kunde ohne Zusatzkosten anschauen kann. Ich mochte den Film, auch wenn er mich nicht in gleichem Maße wie das Buch packen konnte. Das kann jedoch auch daran liegen, dass mir die Geschichte noch zu gut in Erinnerung war und ich beim Anschauen des Films immer verglichen habe, ob die Umsetzung gelungen ist, die Schauspieler gut ausgewählt sind und ob mir manches im Film doch zu kurz behandelt wird. Das nimmt mir etwas das Filmvergnügen und so komme ich natürlich zu dem typischen Schluss eines lesebegeisterten Menschen: Der Film war gut, aber das Buch war besser!

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Donna Tartt
Der Distelfink
Original: The Goldfinch
Aus dem Amerikanischen von Rainer Schmidt und Kristian Lutze
Gebundene Ausgabe, 1024 Seiten
ISBN: 978-3442312399
Preis: 24,99 € [D]
Verlag: Goldmann
Erschienen: 01. Januar 2014

Der Platz – Annie Ernaux

Von Annie Ernaux möchte ich schon seit längerem etwas lesen. Die Autorin war mir aufgefallen, weil sie oft auch Lesern empfohlen wird, die die autobiografischen Fiktionen von Tove Ditlefsen mögen. Kürzlich fand ich bei YouTube folgende Arte Doku: Annie Ernaux‘ Super 8-Tagebücher (Das Video ist auf Youtube noch verfügbar bis zum 01.11.2022). Mir gefällt die Erzählstimme, die für den Beitrag ausgewählt wurde, aber mir gefällt auch der Erzählton. Kurzum: Für mich war die Zeit gekommen, endlich etwas von Annie Ernaux zu lesen. Da sie jedoch im Laufe der Jahre einige Bücher veröffentlicht hat, war es gar nicht so einfach zu entscheiden, mit welchem Buch ich anfangen wollte:

1983 – Der Platz
1987 – Eine Frau
1991 – Eine vollkommene Leidenschaft
1997 – Die Scham
2000 – Das Ereignis
2001 – Sich verlieren
2008 – Die Jahre
2016 – Erinnerung eines Mädchens
2022 – Das andere Mädchen

Letztlich zwang mich mein innerer Monk am Anfang zu beginnen, also mit dem ältesten in deutscher Sprache erschienen Buch: Der Platz. Und wie ich noch damit beschäftigt bin mir das Buch auf den eReader zu laden, erfahre ich, dass Annie Ernaux in diesem Jahr der Literaturnobelpreis verliehen wurde. Ein Grund mehr, gleich mit dem Lesen zu beginnen.

In dem autobiografischen Buch nähert sich die Autorin ihrem 1967 verstorbenen Vater. In meist kurzen Sequenzen beschreibt sie eher nüchtern was sie verband, vor allem aber auch was sie trennte. Beim Lesen fühlte ich mich an eine Schreibdatei erinnert, die ich vor drei Jahren nach dem Tod meines Vaters erstellte und in der ich im Rahmen meiner Trauerarbeit alle Erinnerungen in der Reihenfolge sammelte, wie sie mir in den Sinn kamen, um sie nicht irgendwann auch noch zu verlieren.

Auch Annie Ernaux schildert die Erinnerungen an ihren Vater nicht in chronologischer Reihenfolge, doch was bei mir ganz privat und verletzlich bleibt, ist bei der Autorin distanziert. Die Abwesenheit von Gefühlsduselei lässt es dabei zu, dass beim Lesen genug Raum bleibt um sich als Tochter an die eigene Geschichte mit dem Vater zu erinnern, Ähnlichkeiten oder Gegensätze zu der im Buch zu entdecken, die vielleicht gesellschaftlichen Ursprungs sind, oder sich ganz andere Begebenheiten aus der Vergangenheit zu vergegenwärtigen.

Die Sprache ist knapp und erzeugt doch Bilder im Kopf des Lesers. Es geht auf den knapp 95 Seiten um Herkunft, Aufstieg in der Gesellschaft, aber auch um Nähe und Distanz, bis hin zur Entfremdung. Annie Ernaux stellt ihren Vater dabei weder auf ein glorifizierendes Podest, noch stellt sie ihn bloß. So erhält man beim Lesen einen sehr persönlichen Einblick in die Vater-Tochter-Beziehung ohne dabei den Eindruck zu haben, dass man die Privatsphäre verletzt.

Fazit: Ich möchte mehr von Annie Ernaux lesen.

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Annie Ernaux
Der Platz
Original: La Place
Aus dem Französischen von Sonja Finck
Taschenbuch, 95 Seiten
ISBN: 978-3518471081
Preis: 11,00 € [D]
Verlag: Suhrkamp
Erschienen: 14. Dezember 2020

Nevermoor (Buch 1 – 3) – Jessica Townsend

Vor gut einem Jahr hörte ich „Nevermoor – Fluch und Wunder“ von Jessica Townsend als Hörbuch und war begeistert von der Geschichte rund um das verfluchte Mädchen Morrigan Crow. In der Nacht zu ihrem 11. Geburtstag soll sie sterben, doch sie wird von einem Unbekannten gerettet, der sich als Jupiter North vorstellt und sie nach Nevermoor mitnimmt. Um dort bleiben zu dürfen, muss sie die Aufnahmeprüfungen der Wundersamen Gesellschaft bestehen. Dabei müssen sich die Kandidaten in seltsamen Wettbewerben qualifizieren und ihr besonderes Talent präsentieren. Doch Morrigan weiß nicht einmal, worin ihre besondere Fähigkeit besteht und dann ist außer ihrem Förderer, Kapitän North, auch der absolut böse Wunderschmied daran interessiert, sich ihre Fähigkeiten zu Nutze zu machen.

Eine Welt voller Magie hat die Autorin für ihre Leser geschaffen. Beeindruckende Wesen, irrsinnige technisch-magische Gegenstände oder Fertigkeiten sowie wichtige Werte wie Freundschaft, Tapferkeit, Ehrlichkeit sind die „Grundzutaten“ der Geschichte, in der der Kampf zwischen Gut und Böse noch lange nicht entschieden ist.

Sprachgewitzt, bildgewaltig und fantasievoll sind auch Nevermoor 2 „Das Geheimnis des Wunderschmieds“ und Nevermoor 3 „Leere Schatten„, über die ich an dieser Stelle nicht mehr verraten möchte. Diese international gefeierten Kinderbücher entführen die Leser in ein einzigartiges Wunderland voller Magie und Abenteuer, das mich vollends begeistert hat. Und auch wenn ich Nevermoor und Harry Potter nicht vergleichen möchte, weil es einfach unterschiedliche Geschichten von unterschiedlichen Autorinnen sind, so hat mich Nevermoor doch auf ähnliche Weise verzaubern und ganz in die Geschichte hineinziehen können. Es lag daher für mich auf der Hand, dass ich die Reihe, in der bislang drei Bücher erschienen sind, gerne weiterhören wollte. Doch leider wurde nur das erste Buch vertont und nach Rückfrage beim Oetinger-Verlag erfuhr ich, dass die anderen Bücher nicht als Hörbuch erscheinen werden. Ich muss zugeben, dass ich ein wenig enttäuscht war.

Aber diese Geschichte hatte mich vor gut einem Jahr so sehr gepackt, dass ich unbedingt erfahren wollte, wie es weiter geht. Die Taschenbücher waren in deutscher Sprache zu dem Zeitpunkt noch nicht erschienen, weshalb nur der Griff zu den gebundenen Ausgaben blieb. Und weil ich zu schrullig bin, einfach nach dem Hörbuch den zweiten und dritten Band zu lesen, kaufte ich mir auch noch den ersten Band und las dann alle drei Bücher der Reihe nach durch. Zwar habe ich zum Lesen dieser drei Bücher fast ein Jahr gebraucht, weil mir eine längere Leseflaute dazwischen kam, das sagt jedoch nichts über meine Begeisterung für „Nevermoor“ aus. Denn diese Buchreihe, die inzwischen komplett auch in der Taschenbuchversion erhältlich ist, hat unter anderem dafür gesorgt, dass ich mich allmählich wieder aufs allabendliche Lesen gefreut habe, weil ich unbedingt wissen wollte, wie es Morrigan und ihren Freunden ergeht.

Doch jetzt heißt es erstmal warten. Denn der 4. Band „Silverborn – The Mystery of Morrigan Crow“ erscheint erst in gut einem Jahr in der englischen Ausgabe. Und ich scharre jetzt mit den Füßen und kann kaum abwarten, bis dieser neue Teil dann auch auf Deutsch erscheint. Die Altersempfehlung für diese Kinderbücher, die zuweilen doch auch recht düster sind, liegt übrigens bei 10 – 12 Jahren – aber man kann auch im Alter von 55 Jahren Freude an ihnen haben 😉


Jessica Townsend
-> Zur Leseprobe: Nevermoor 1: Fluch und Wunder [Werbung]
Original: Nevermoor. The trials of Morrigan Crow
Aus dem Englischen von Franca Fritz und Heinrich Koop
Gebundene Ausgabe, 432 Seiten
ISBN: 978-3791500645
Preis: 19,00 € [D]
Verlag: Oetinger
Erschienen: 19.02.2018

-> Zur Leseprobe: Nevermoor 2: Das Geheimnis des Wunderschmieds [Werbung]
Original: Wundersmith: The Calling of Morrigan Crow
Aus dem Englischen von Franca Fritz und Heinrich Koop
Gebundene Ausgabe, 432 Seiten
ISBN: 978-3791501031
Preis: 19,00 € [D]
Verlag: Oetinger
Erschienen: 18.03.2019

-> Zur Leseprobe: Nevermoor 3: Leere Schatten [Werbung]
Original: Hollowpox – The Hunt for Morrigan Crow
Aus dem Englischen von Franca Fritz und Heinrich Koop
Gebundene Ausgabe, 512 Seiten
ISBN: 978-3791501048
Preis: 20,00 € [D]
Verlag: Dressler
Erschienen: 08.05.2021

Lesealter: 10-12 Jahre

Die Anomalie – Hervé Le Tellier

Seit ich vor gut einem Jahr zum ersten Mal von diesem Buch hörte, interessiert es mich. Immer wieder begegnete es mir, vor allem auch in meinem Instagram-Feed, und meist waren die Leser voll des Lobes. Als ich „Die Anomalie“ letztens als ungekürztes Hörbuch bei Spotify entdeckte, war auch für mich endlich die Zeit gekommen, mich mit diesem Buch zu beschäftigen. Und obwohl es wirklich hervorragend von Camill Jammal eingesprochen wurde, hätte ich es doch lieber selbst gelesen – mit vielen Pausen zum genüsslichen allmählichen Reindenken, Durchdenken und Weiterdenken. Denn „Die Anomalie“ ist ein unterhaltsamer Roman, der sich zwar flüssig weg lesen/hören lässt und dabei doch so viel Philosophisches und Kurioses enthält, das zum Innehalten einlädt.

Auf dem Weg von Paris nach New York gerät im März ein Flugzeug in schwere Turbulenzen und landet trotz Beschädigungen doch sicher im Zielflughafen. Genau drei Monate später landet dort exakt die gleiche Maschine mit genau den gleichen Passagieren. Ein Krisenstab wird einberufen, der sich aus Wissenschaftlern, Philosophen und Vertretern der verschiedenen Weltreligionen zusammensetzt. Sie entwickeln drei Theorien über die Ursachen, während die frisch gelandeten Passagiere in einem Hangar isoliert werden und schließlich ihre Doppelgänger kennenlernen. Jeder der Passagiere trifft auf ein ebenbürtiges Duplikat, von dem ihn einzig und allein drei Monate Lebenserfahrung unterscheidet.

Es kommt zu variantenreichen Gegenüberstellungen. Zum einen gibt es einen Schriftsteller, der sich in der März-Version umgebracht hat und nun in der Juni-Version seinen alten und doch völlig neuen Platz einnimmt. Es gibt zwei Versionen des gleichen Auftragskillers, ein Kind hat plötzlich zwei Mütter und Beziehungskonstellationen geraten durcheinander. In dem Roman geht es weniger darum, wie das alles passieren konnte, sondern vielmehr darum, wie die Betroffenen reagieren und wie die Doppelgänger miteinander umgehen. Von kurios bis nachvollziehbar ist alles vertreten und ist dabei immer zwischen unterhaltsam und nachdenklich. Denn der spielerische Umgang des Autors mit dem Thema lädt trotz unwirklicher Situation doch auch dazu ein, sich selbst einige Gedanken zu machen. Wie würde man selbst damit umgehen, wenn es plötzlich ein weiteres Ich gäbe? Würde man tatsächlich sein eigenes Leben mit der anderen Identität teilen? Und: Was machen drei Monate im Leben aus?

Mir hat dieses Hörbuch große Lust darauf gemacht, das Buch selbst noch einmal in eigenem Schneckentempo zu lesen und genüsslich zu durchdenken. Empfehlenswert!


Die Anomalie
Von: Hervé Le Tellier
Gesprochen von: Camill Jammal
Spieldauer: 10 Std. und 14 Min.
Ungekürztes Hörbuch
Erscheinungsdatum: 25.08.2021
Sprache: Deutsch
Anbieter: Argon Verlag

Mr. Parnassus‘ Heim für magisch Begabte – T. J. Klune

In den vergangenen Monaten bin ich immer mal wieder über dieses Buch gestolpert, von dem ich viel Lobendes hörte. Als ich schließlich nach etwas Magischem suchte, das mich aus meiner Leseflaute wieder herausholen sollte, beschloss ich es mit dem Hörbuch zu versuchen. Und tatsächlich enthält „Mr. Parnassus‘ Heim für magisch Begabte“ kleine, aber feine Elemente, die mich zu verzaubern wussten, auch wenn es nicht ganz für eine komplette Entzauberung reichte.

Linus Baker lebt gänzlich in seinem grauen Hamsterrad voller Regeln und Vorschriften. Er ist Anfang 40 als er plötzlich und völlig unerwartet vom Allerhöchsten Management den Auftrag erhält, das streng geheime Waisenhaus von Mr. Parnassus zu inspizieren, in dem besondere Kinder leben. Kaum dort angekommen, stellt Linus fest, dass Mr. Parnassus‘ Schützlinge wirklich sehr speziell sind – einer von ihnen ist möglicherweise sogar der Sohn des Teufels. Linus kommt hier mit seiner Vorliebe für Vorschriften nicht weit und lässt sich eher widerwillig auf die eigenartigen Kinder ein.

Man erlebt, dass Linus allmählich lockerer wird und fiebert schließlich sogar dabei mit, als sich zwischen ihm und einem anderen Protagonisten das zarte Band der Liebe entwickelt. Ganz bezaubernd sind auch die speziellen Kinder, die sich mit ihrer aneckenden Ruppigkeit und ihrer dennoch reizenden Kindlichkeit polternd und doch irgendwie leise ins Herz des Lesers schleichen. Der Hörbuchsprecher Julian Horeyseck verleiht dabei den Charakteren Einzigartigkeit und sorgt durch passende Betonung für ein lebendiges und spaßiges Hörerlebnis ohne in Klamauk zu verfallen.

Aber es geht in diesem Buch auch um die Probleme, die Andersartigkeit und Intoleranz mit sich bringen. Und so gibt es viele kluge Sätze zu entdecken, die zum Denken auffordern. Etwas weniger davon hätte dem Buch sicherlich gut getan und manche Botschaft hätte auch ruhig etwas subtiler daherkommen können um dennoch verstanden zu werden. Insgesamt ist „Mr. Parnassus‘ Heim für magisch Begabte“ jedoch ein Buch das Freundlichkeit und Wärme ausstrahlt, in einer der unseren Welt doch recht nahen Fantasywelt, in der manches zwar besser laufen könnte, in der aber im großen und ganzen eigentlich noch alles in Ordnung ist.


Mr. Parnassus‘ Heim für magisch Begabte
TJ Klune
Gesprochen von: Julian Horeyseck
Spieldauer: 15 Std. und 37 Min.
Ungekürztes Hörbuch
Erscheinungsdatum: 13.04.2021
Sprache: Deutsch
Anbieter: Random House Audio, Deutschland

Was fehlt dir – Sigrid Nunez

„Warum haben Sterbende nicht das Recht, ihr Leben zu beenden?“

(S. 122)

Nachdem ich im vergangenen Jahr „Der Freund“ von Sigrid Nunez begeistert gelesen hatte, stand für mich gleich fest, dass ich auch ihr neues Buch lesen würde, ohne dass ich im Vorfeld wissen musste, wovon es handeln würde. Und so nahm ich unvorbereitet „Was fehlt dir“ zur Hand und ließ mich auch dieses Mal wieder durch eine Sammlung von Gedanken, Abschweifungen, Geschichten und Zitatschnipsel leiten, die sich mal ganz nah an einem Thema befinden, manchmal aber auch nur indirekt damit in Verbindung gebracht werden können. Sie schreibt darüber, wie wir einander verbunden sind, in Glück und Trauer, Trost und Zuversicht – und wie Mitgefühl unsere Sicht aufs Leben verändern kann.

In der ersten Hälfte des Buches hatte ich zeitweilig das Gefühl in einer Essay-Sammlung gelandet zu sein, obwohl das Buch doch als Roman bezeichnet wird. Aber schließlich gelingt es der Autorin doch den eingangs gelegten roten Faden wieder aufzugreifen und die Geschichte der Ich-Erzählerin und ihrer krebskranken Freundin weiter zu spinnen. Weil für letztere der Tod trotz Chemotherapie unausweichlich ist, beschließt sie den Zeitpunkt ihres Todes mit Hilfe von Tabletten selbst bestimmen zu wollen und bittet die Ich-Erzählerin ihr in den letzten Wochen oder Monaten ihres Lebens zur Seite zu stehen.

„Ich spreche nicht von Hilfe beim Sterben, sagt sie. Ich weiß, was ich tun muss. Es ist nicht kompliziert. Kompliziert ist, was zwischen jetzt und dann passieren soll.“

(S. 84)

Ohne zu wissen, wann dieser Zeitpunkt sein wird, willigt die Ich-Erzählerin schließlich ein und begleitet ihre Freundin in ihrer letzten Phase bis zum Tod.

Wie bereits in „Der Freund“ gelingt es Sigrid Nunez auch in „Was fehlt dir“ in einem relativ handlungsarmen Text, den sie in einem eleganten Plauderton formuliert, starke und manchmal auch provozierende Bilder zu platzieren und dabei Themen wie das älter werden, selbstbestimmtes Sterben, Tod, Freundschaft, Liebe und Vergänglichkeit zu behandeln. Dabei wird sie nicht sentimental oder mitleidig, sondern wirft einen harten nüchternen Blick auf die Dinge und gönnt dem Leser dabei auch trotz trauriger Themen gelegentlich eine wohltuende Prise trockenen Humors.

„Nicht nur glaubt sie nicht an ein Leben nach dem Tod, sie ist auch fassungslos, dass so viele Menschen es tun.“

(S. 147)

Die Figuren in diesem Buch sind alle namenlos und man bleibt als Leser auf Distanz zu ihnen. Und doch entsteht anhand der durchaus realen Elemente und den Gedanken, denen man in diesem Buch auf anregende, manchmal auch berührende, Weise folgen kann, die Möglichkeit mit den Figuren aus angemessenem Abstand mitfühlen zu können. Zwar geraten die Nacherzählungen von Lektüreerlebnissen oder Filmen hin und wieder etwas zu ausführlich, aber die Denkanstöße, die Sigrid Nunez in diesem Buch liefert, entschädigen dafür allemal. Ein recht spezielles, aber doch gelungenes Buch.

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Sigrid Nunez
Was fehlt dir
Aus dem Amerikanischen von Anette Grube
Original: What are you going through
Taschenbuch, 222 Seiten
ISBN: 978-3351038755
Preis: 20,00 € [D]
Verlag: Aufbau Verlag
Erschienen: 19.07.2021

Das eBook wurde mir freundlicherweise vom Verlag für Rezensionszwecke zur Verfügung gestellt, wofür ich mich an dieser Stelle recht herzlich bedanke.

Der Sprung – Simone Lappert

„…also wenn du mich fragst, so gesamthaft gesehen, ist das Nichtverrücktsein die eigentliche Anomalie.“

(S. 268)

Bereits 2019 erschien dieser Roman rund um die junge Frau, die auf dem Dach steht und sich weigert herunterzukommen. Da ich schon so viel Gutes über das Buch hörte, habe ich mich gefreut, dass es nun kürzlich auch als Taschenbuch erschienen ist. Denn ich hatte bereits versucht die Geschichte bei Spotify als Hörbuch zu erfahren, kam aber mit der Sprecherin Lotti Happle überhaupt nicht zurecht, da sie manche Worte falsch ausspricht und ihre Betonung für mein Empfinden nicht zu dem Text passt. So brach ich das Hörbuch nach relativ kurzer Zeit ab und griff stattdessen zu dem Taschenbuch. Ich hatte es zwar gehofft, war aber dennoch überrascht, denn selbst gelesen fand ich dieses Buch einfach großartig!

Natürlich geht es um die junge Frau auf dem Dach, von der man sich fragt, was mit ihr los ist und ob sie springen wird. Aber das ist längst nicht alles, denn die Autorin nimmt immer wieder auch den Blick weg von dieser Frau und stellt die Randfiguren des Ereignisses in den Vordergrund. Die Leute aus der Nachbarschaft, Schaulustige, Menschen, die dort in der Nähe arbeiten, aber auch Personen, die der Frau auf dem Dach deutlich näher stehen. Doch das erfährt man erst nach und nach. Anfangs ist man sich unsicher, wer aus der Geschichte überhaupt auf dem Dach steht.

Während man sich zu Beginn beim Lesen noch fragt, wie die Personen zusammenhängen und welche Rolle sie spielen, wird allmählich alles immer klarer. Es ist ein Sammelsurium von Figuren unterschiedlichen Alters und verschiedener Gesellschaftsschichten, die allesamt mit ihren eigenen Herausforderungen des Lebens beschäftigt sind. Aber alle verbindet etwas mit der jungen Frau auf dem Dach, sei es direkt oder indirekt. Der Sprung ist ein roter Faden, der sich durch zwei Tage im Leben all dieser Personen zieht und sie miteinander in diesem Roman vereint.

Interessante Figuren hat Simone Lappert geschaffen und es macht beim Lesen Freude zu entdecken, dass man in den jeweiligen Kapiteln nicht nur etwas über die aktuelle Person erfährt, sondern deren Geschichte auch zart und kapitelübergreifend mit den anderen verbunden ist. Die Autorin hat die unterschiedlichen Charaktere fein beobachtet und versteht sie treffend zu zeichnen. Sie kommen einem bekannt vor, ohne dass sie zu klischeehaft wären.

Das Ganze geht von entwaffnender Offenheit bis hin zu poetischen Beschreibungen, deren Sinnlichkeit beim Lesen nachfühlbar wird und einen dabei gefangen nimmt, ohne dass es gewollt wirkt. Das alles schafft eine Atmosphäre, deren Anspannung einen ebenso durchs Buch trägt, wie die Neugier darauf, wie die Geschichte ausgehen wird und welche Auswirkungen der Schmetterlings-Effekt in diesem Mikrokosmos noch hat.

Schließlich kommt dieser Roman zu einem runden und in sich stimmigen Abschluss und lässt mich mit dem Wunsch zurück, unbedingt mehr von Simone Lappert lesen zu wollen. Denn dieses Buch ist für mich ein echtes Highlight!

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Simone Lappert
Der Sprung
Taschenbuch, 336 Seiten
ISBN: 978-3257245790
Preis: 12,00 € [D]
Verlag: Diogenes
Erschienen: 28.07.2021

Das Taschenbuch wurde mir freundlicherweise vom Verlag für Rezensionszwecke zur Verfügung gestellt, wofür ich mich an dieser Stelle recht herzlich bedanke.