Dieses Buch wanderte bereits vor einigen Jahren auf meine Wunschliste und von dort relativ zügig als eBook auf meinem virtuellen Stapel ungelesener Bücher. Und das war es dann erstmal. Als ich es nun kürzlich auf meinen eReader lud, um im Urlaub eine große Auswahl an Lesbarem zu haben, wusste ich längst nicht mehr, wovon dieses Buch handelt. Umso überraschter war ich von diesem kleinen Schatz, der sich mir nach und nach offenbarte.

Mit leiser Wehmut, vielen Fragen und großen Hoffnungen im Gepäck überqueren sie den Ozean: junge Japanerinnen, die in den 1920er Jahren ihre Heimat verlassen, um in Kalifornien japanische Einwanderer zu heiraten.
„Einige von uns kamen aus Hokkaido, wo es verschneit und kalt war, und träumten noch jahrelang von dieser weißen Landschaft. Einige von uns kamen aus Hiroshima, das später in die Luft fliegen sollte, und hatten Glück, überhaupt auf dem Schiff gelandet zu sein, auch wenn sie es damals natürlich noch nicht wussten.“ (S. 9)
Bis zu ihrer Ankunft kennen die Frauen ihre zukünftigen Männer nur von den strahlenden Fotos der Heiratsvermittler, und auch sonst haben sie äußerst vage Vorstellungen von Amerika. Die Überfahrt wird zu einer seltsamen, oft traumartigen Passage zwischen zwei Welten – und die Ankunft in Amerika zu einem abrupten Erwachen in der Fremde, in der kaum etwas so ist wie erwartet.
„Denn wenn uns unsere Männer in ihren Briefen die Wahrheit gesagt hätten – dass sie keine Seidenhändler waren, sondern Obstpflücker, dass sie nicht in großen Häusern mit vielen Zimmern wohnten, sondern in Zelten und Scheunen und draußen im Freien, auf den Feldern, unter der Sonne und den Sternen -, wären wir nie nach Amerika gekommen, um die Arbeit zu machen, die im Leben kein Amerikaner machen würde, der etwas auf sich hält.“ (S. 24)
Der Roman schildert ihre Lebenserfahrungen in der neuen Heimat, bis rund ein Vierteljahrhundert später der japanische Angriff auf Pearl Harbor zur Internierung japanischstämmiger Amerikaner führt.
Als Leser erfährt man die Geschehnisse aus der Wir-Perspektive der Japanerinnen. Es gibt keine stringent erzählte Geschichte, der man folgen und keinen Protagonisten, mit dem man sich identifizieren könnte. Aber die aufzählende Erzählweise beleuchtet das differenzierte Erleben und Wirken der Japanerinnen dennoch eingehend und bewegend, da sich hierdurch eine Vielzahl von Perspektiven und Möglichkeiten eröffnet. Das sorgt wohl auch für die dichte Atmosphäre, durch die sich ein Sog entwickelt, dem man sich beim Lesen kaum entziehen kann. Man erlebt die anfänglichen Ängste vor dem neuen Land und den unbekannten Männern, erfährt von Hoffnungen und Enttäuschungen, vom Einleben und Nicht-Einleben in dem fremden Land und den Konsequenzen. Hier werden feine Nuancen gezeichnet und Problematiken deutlich, die beim Lesen innehalten lassen und zum nachdenken anregen. Der Roman schließt mit einem drastischen Perspektivwechsel: Aus der Sicht ihrer weißen Nachbarn wird geschildert, wie die internierten japanischstämmigen Amerikaner plötzlich nicht mehr da sind.
Knapp 160 Seiten, die intensiv und berührend sind und trotz der Kürze zugleich eine erweiterte, wenn auch knappe schwammige Sichtweise auf geschichtliche Ereignisse werfen. Ein Buch, das nachwirkt und zum weiter informieren anregt. Empfehlenswert!
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Julie Otsuka
Wovon wir träumten
Aus dem Englischen von Katja Scholtz
Original: The Buddha in the Attic, Verlag: Knopf
Taschenbuch, Broschur, 160 Seiten
ISBN: 978-3-442-47968-9
Preis: € 8,99 [D] inkl. MwSt. | € 9,30 [A] | CHF 12,90 * (* empf. VK-Preis)
Verlag: Goldmann
Erschienen am 17. März 2014