Ich habe gerade überhaupt keine Lust darauf, aktuelle Themen und Probleme in der Literatur zu wälzen. Abhilfe könnten sicherlich Klassiker oder historische Romane schaffen und doch konnte ich mich nicht so recht dazu aufraffen. Und so waberte ich mehr oder weniger ziellos durch die Bücherwelten des Internets, auf der Suche nach Inspiration. Der Algorithmus hatte schließlich ein Einsehen mit mir und spülte mir die erste Folge des „Literarischen Quartetts“ auf meine YouTube-Startseite.
Am 25. März 1988 ging die literarische Sendung an den Start. Neben Marcel Reich-Ranicki beteiligten sich an der Diskussion Sigrid Löffler, Hellmuth Karasek und Jürgen Busche. Ich erinnere mich vage an Gespräche und teilweise hitzige Diskussionen, aber auch an meine eigene Zeit in den 1980ern, wo ich mir lieber den Rockpalast oder die Musiksendung „Formel Eins“ im Fernsehen anschaute, als die auf mich etwas verstaubt wirkende Literatursendung. Ich las damals begeistert Stephen King und wuchs allmählich auch in die immer frecher werdende Literatur hinein, in der es um Frauen ging, die irgendwie ihren Weg fanden oder zu finden versuchten. Sicherlich nicht das, was damals in Literatursendungen besprochen wurde und inzwischen auch nicht mehr das, was mich zu lesen reizt. Mein Lesegeschmack hat sich im im Laufe der Jahre mit mir geändert und mit jedem gelesenen und als gut oder gar sehr gut empfundenen Buch wächst der Anspruch an die folgenden Bücher.
Ich betrachtete es als kleines Experiment und war gespannt darauf, ob mir die erste Folge des „Literarischen Quartetts“ gut 35 Jahre nach ihrer ersten Ausstrahlung gefallen würde. Die Folge kann man sich sich > HIER < bei YouTube ansehen.

Und natürlich gefällt mir die Sendung. Es ist ein bisschen wie nach Hause kommen und in Marcel Reich-Ranicki einen ‚alten‘ Bekannten wieder zu treffen. Mir fällt wieder ein, dass ich große Sympathien für ihn hege und ich erinnere mich auch daran, dass ich irgendwann mit großem Interesse seine Biografie „Mein Leben“ gelesen habe, auch wenn er mich mit seinem kulturellen Wissen oftmals abhängte (was ja leider auch nicht allzu schwierig ist).
Zu den Büchern der ersten Sendung gehörte unter anderem „Die schöne Frau Seidenman“ von Andrzej Szczypiorski, das ich nach der glühenden Lobrede von Marcel Reich-Ranicki dann auch gleich las. In diesem Buch geht es um die Judenverfolgung und den Widerstand gegen die deutsche Besatzung im Warschau der Jahre 1942 und 1943. Die Bilder und Personen hängen in einer losen Handlung zusammen. Für mich manches Mal zu lose, aber doch in einem Maße, dass man Zusammenhänge herstellen kann und sich in die Personen und Problematiken in ihrer Abscheulichkeit hineinversetzen kann. Als ich mir nach dem Lesen noch einmal die Buchbesprechung des Literarischen Quartetts anschaue, habe ich aber letztlich doch wieder den Eindruck, ein anderes Buch gelesen zu haben. Mir fehlt halt der Hintergrund der Kritiker und ich lese Bücher, wie wohl jeder, immer nur mit meinem eigenen Wissen und meiner eigenen Lebensgeschichte im Gepäck. Dennoch empfinde ich Reich-Ranickis Sicht als Zeitzeuge auf dieses Buch in dieser Runde als wertvoll und den Roman interessant, auch wenn er nicht gerade zu meinen Highlights gehört.
Ansonsten ploppen in dieser Sendung wieder einmal meine Bildungslücken auf, aber ich höre gespannt und manchmal auch amüsiert zu. Die Sendung hat mir Spaß gemacht und ich nehme sogar etwas von diesem kleinen Ausflug in die Vergangenheit mit: Um Buchtipps zu finden, die zu einem passen, gibt es nichts Wertvolleres als andere Leserinnen und Leser zu finden, die ähnlich ticken, wie man selbst. Aber ein Blick über den eigenen Tellerrand kann halt auch nicht schaden um einem neue Perspektiven zu eröffnen und mal wieder Bücher außerhalb der eigenen Komfortzone zu lesen, egal, ob sie einem letztlich gefallen oder nicht.